Genossen unter sich: Links Partei- und Fraktionsvorsitzender Hanno Benz, Mitte Oberbürgermeister Walter Hoffmann, der für eine zweite Amtszeit kandidiert, rechts Ex-Minister und Ex-Bundesvorsitzender Franz Müntefering am Sonntag bei Neujahrsempfang im „Löwen“. Foto: Claus Völker
Kaum zu glauben, dass dieser unbewegt scheinende Mann, der auch nicht mal ansatzweise die Miene verzieht, es schafft, die Menge mitzureißen. Aber Müntefering, „der liebe Franz“, wie ihn seine Genossen nennen, hielt an seinem 71. Geburtstag am Sonntagvormittag beim Neujahrsempfang der SPD im Arheilger Löwen eine so leidenschaftliche Rede, dass hinterher eine Besucherin seufzte, „das tut dem SPD-Herz doch gut“.
Der Ex-Minister und Ex-Parteivorsitzende, der noch immer im Bundestag sitzt, beschwor die Rolle seiner Partei für die Demokratie in den vergangenen knapp hundertfünfzig Jahren und nahm die Tradition als Ausgangspunkt für zukunftsfähige politische Entscheidungen. Demokratie und Sozialstaat seien zwei wichtige Errungenschaften der Sozialdemokratie. Letzterer werde von der Globalisierung überrollt – „Politik und Demokratie haben es nicht geschafft, ihre Sicht zu entwickeln“, kritisierte er. „Wir bräuchten eine Welt- oder Europaregierung, die gibt es aber nicht.“
Deutschland denke und handle noch immer nationalstaatlich, die Welt – und das Geld, das sie regiere – agiere aber global. Die SPD wolle weltweit soziale Marktwirtschaft, „Geld soll die Welt nicht regieren“. Müntefering warnte, Exportweltmeister Deutschland könne den Wohlstand nicht halten, wenn Teile Europas ausgeschlossen würden.
Zur Zukunft gehört für ihn die Nutzung der Informationstechnologien – auch in der Parteiarbeit. Und die richtige Weichenstellung für die demografische Entwicklung. Bis 2050 werde Deutschlands Einwohnerzahl auf 65 bis 68 Millionen sinken, „wir werden weniger, älter und bunter“, manche Regionen würden wachsen, andere schrumpfen. Städte dürften die Bedeutung von optimalen Bildungs- und Erziehungsbedingungen und modernen Arbeitsplätzen für Familien mit Kindern nicht unterschätzen. Und um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssten künftig diejenigen, die heute ohne Schulabschluss in die Dauerarbeitslosigkeit wanderten, aufgefangen werden.
Müntefering beurteilte die finanzielle Situationen der Kommunen als ernst, von der FDP-Forderung nach Abschaffung der Gewerbeteuer mit individuellen Hebesätzen auf die Einkommenssteuer hielt er nichts. Es müsse eine klare Neuordnung der Finanzen geben, forderte er, und sagte auch wie: Mit Budgets, die Kommunen in Eigenverantwortung verwalten – unabhängig von gesetzlich vorgegebenen Pflicht- und freiwilligen Leistungen, gemäß dem, was es für individuelle Anforderungen gibt.
Die kommunalen Finanzen waren zuvor auch ein Schwerpunkt in der Rede des SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Hanno Benz im mit rund 150 Zuschauern gefüllten Saal des Goldnen Löwen. Schwarz-gelb schwäche die Städte in den zentralen Bereichen Bildung, Daseinsvorsorge und Soziales. Die Kommunen bräuchten einen finanziellen Ausgleich für die auf sie übertragenen Aufgaben.
Die SPD werde nicht zulassen, dass die Stadt kaputtgespart wird. In Zeiten knapper Kassen müssten Prioritäten gesetzt werden, „und ich nehme für einen Kindergartenplatz oder eine sanierte Schule gerne auch mal ein Schlagloch in Kauf.“ Ehrenämtler aus Vereinen, Verbänden und Institutionen prägten den gesellschaftlichen Zusammenhalt und bräuchten dringend Planungssicherheit in ihren Finanzen.
SPD-Spitzenkandidat Michael Siebel bezeichnete Kommunalpolitik als „Tor zum Menschen“, oft schneller und wirkungsvoller als das, was auf Landes- oder Bundesebene passiere. Sie müsse langfristig gedacht und geplant werden – so wie in der Vergangenheit der Paradigmenwechsel weg von der rauchenden Industrie hin zur Wissenschaftsstadt – und hin zur ersten Großstadt Hessens, die ihre Energie zu 100 Prozent aus Erneuerbarem bezieht.
OB Walter Hoffmann warb schließlich mit Wirtschaftsdaten für eine zweite Amtszeit: Fehlbetrag im Haushalt um 40 Millionen reduziert, 4000 Arbeitsplätze mehr, 3 Prozent Arbeitslose weniger seit 2005 – er rechne sich persönlich das wirtschaftsfreundliche Klima in der Stadt an, sagte er.
An die Adresse der CDU ging die Kritik, dass „man nicht im Magistrat sitzen und fast alle Entscheidungen gemeinsam treffen und gleichzeitig Opposition spielen“ könne. Er halte Glaubwürdigkeit und Klarheit für entscheidende Grundsätze. Bürgerbeteiligung sei wichtig, aber Einzelinteressen dürften niemals über das Gemeinwohl gestellt werden. Deswegen bräuchte es neue Formen von Beteiligung. Seine Bilanz bezeichnete der OB als „gemischt, im Kern aber positiv“.