Mit melancholischem Wunden lecken nach der deutlichen Niederlage bei der hessischen Landtagswahl wollte sich die SPD Arheilgen am Samstag nicht lange aufhalten. Und so richtete der Ortsvereinsvorsitzende Hanno Benz beim Neujahrsempfang im „Goldnen Löwen“ seinen Blick lieber auf den 23. Mai: Den Tag, an dem der neue Bundespräsident gewählt wird. Oder Deutschlands erste Bundespräsidentin: Gesine Schwan, die Kandidatin der SPD, saß neben Justizministerin Brigitte Zypries und reichlich lokaler SPD-Prominenz im Publikum.
Hanno Benz mochte es sich nicht nehmen lassen, der Anwärterin für das höchste Amt im Staat reichlich Vorschusslorbeeren mit auf den Weg zu geben. „Ein zukünftiges Staatsoberhaupt war noch nicht hier“, stellte er ihrer Festrede voran. Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan nahm die warmen Worte milde schmunzelnd an und richtete ihren Blick schnell auf die Finanzkrise.
Zwar habe die Bundesregierung ein Abrutschen verhindern und Vertrauen in der Bevölkerung aufbauen können, doch liege die eigentliche Herausforderung nicht im Schnüren eines nationalen Konjunkturpakets. „Die Menschen müssen sich durch Europa gesichert fühlen, das wird eine der wichtigsten Aufgaben sein.“ Zugleich forderte sie, dass sich Unternehmen Selbstverpflichtungen auferlegen müssten und zudem bereit sein sollten, deren Einhaltung auch von „unbequemen Nicht-Regierungs-Organisationen“ überprüfen zu lassen.
Deutliche Kritik richtete Schwan an die Bankenbranche. Das derzeitige Misstrauen der Geldinstitute untereinander sei nicht erst durch die Finanzkrise entstanden. „Das hat sich über Jahre hinweg aufgebaut, weil man wusste, was die Anderen für Geschäfte machen.“ Die Praktiken der Banken hätten geistiges Mitläufertum gefördert, deswegen sei die Krise auch keine finanztechnische, sondern eine kulturelle.
Eine Zügelung der Wirtschaft durch klare Regularien von Staatsseite hatte Brigitte Zypries zuvor in ihrer Rede gefordert, ebenso eine konsequentere Durchsetzung der Managerhaftung. „Wir haben die schärfsten Gesetze weltweit“, sagte die Justizministerin. „Das Problem ist nur: keiner verklagt die Manager.“ Hier müsse ein Bewusstseinswandel stattfinden, der etwa in der Ärztehaftung schon eingetreten sei.
Gesine Schwan brachte Vertrauen als „wichtigste Ressource freiheitlichen Zusammenlebens“ ins Spiel. Die Menschen dürften sich nicht länger als Anhängsel ökonomischer Dynamik fühlen, Vertrauen etwa in staatliche Entscheidungen sei wichtiges „Sozialkapital“. Auch die Bildung sei noch zu stark von einer ökonomischen Denkweise geprägt. „Wir denken hier viel zu elitär“, sagte sie und plädierte für ein „Evangelium der Talente“, also dafür, das Talent des Einzelnen besser zu respektieren. „Die Anerkennung der Vielfalt der Potenziale, da müssen wir umdenken.“
Mit reichlich Applaus quittierte das Publikum die Rede Schwans, deren breiter Wissenshorizont die Gedankengänge mancher Zuhörer ziemlich gekitzelt haben dürfte. Und sollte es Ende Mai erneut nicht zum Amt der Bundespräsidentin reichen, könnte es Gesine Schwan vielleicht trösten, dass der derzeitige Amtsinhaber mit ihrem Talent für die sprudelnde Verknüpfung von verzweigten Gedankengängen nicht ganz mithalten dürfte.